Unseren Rundgang in Gent begannen wir in der Nähe des örtlichen Belfrieds. Diese für das belgische Stadtbild typischen Türme beherbergten in der Gotik nicht nur Glocken, sondern als oft sicherster Ort der Stadt auch Archiv, Schatzkammer und Gefängnis. Genau wie bei den Beginenhöfen haben die Belgier nicht einen speziellen Belfried ins Weltkulturerbe eintragen lassen, sondern die belgischen Belfriede an sich. Somit kann jede ältere, belgische Stadt damit werben, dass sie mindestens zwei Welterbestätten besitzt, was auf der einen Seite der örtlichen Broschüre einen besonderen Glanz gibt, und auf der anderen Seite nur begrenzt reiselustigen Touristen entgegenkommt.
Den Genter Belfried ziert ein mehrere hundert Kilo schwerer Drache als “Wetterfahne”. Dieser symbolisiert Macht und Wachsamkeit der Bürgerschaft von Gent, auch wenn er den ehemals hier gelagerten Schatz wohl maximal durch Herabfallen hätte verteidigen können.
Gleich in der Nähe des Belfrieds fanden wir die St. Bavo – Kathedrale. Schon lange haben wir keine derart prunkvoll mit Marmor, edlen Holzschnitzereien, Kunstwerken und zusammengetragenen Schätzen ausgestattete Kirche mehr gesehen. Auch die Kanzel war selbst für niederländisch-flämische Verhältnisse enorm aufwändig gearbeitet. Die weitläufige Krypta wurde als Ausstellungsraum für beispielsweise eine silberne Kopie des Kopfes von Johannes dem Täufer und weitere, teils auch moderne Kunstwerke verwendet.
Hauptschatz der Kirche ist aber das Altarbild der Gebrüder van Eyck mit dem Namen “Das Lamm Gottes”. Aus mehreren Flügeln bestehend und aufgeklappt ca. 2o m² messend gilt es wegen seiner besonders kunstvollen und aufwändigen Verarbeitung als Hauptwerk der flämischen Malerei des 15. Jahrhunderts. Im namengebenden Zentrum des Werkes wird die Anbetung eines mit gelassener Miene auf dem Opferaltar stehenden Lammes (als Symbol für Christi Opfertod) dargestellt. Darum herum gruppieren sich Darstellungen von Adam, Eva, Maria, Johannes dem Täufer, Engeln und Heiligen sowie Kreuzrittern. Auch eine nicht ganz Gebots-konforme Abbildung von Gott findet sich an der Spitze des Werkes auf der selben, mittigen Längsachse mit dem Lamm und dem Quell des Lebens.
Die Betrachtung dieses mindestens den Gentern heiligen Werkes hatte in einer Seitenkapelle in absolutem Stillschweigen zu geschehen. Etwas amüsant fanden wir, dass die damit eigentlich angestrebte Stille durch die (marktwirtschaftlich geschickt) additiv zum stolzen Eintrittspreis vertriebenen Audioguides ungefähr wie das Gebrummel eines Theater-Publikums vor Vorstellungsbeginn klang und somit von Andacht eigentlich nicht mehr viel zu merken war. Nicht ganz so amüsiert waren wir vom Umstand, dass nicht nur die Audioguides extra kosteten, sondern auch ein einfacher DinA5-Ausdruck mit Informationen zum Bild nicht inklusive war, sondern zum ca. 20-fachen Herstellungswert feilgeboten wurde.
Dass das Kunstwerk heute wieder als ganzes zu betrachten ist, verdanken wir einer in den letzten Jahren erfolgten, umfassenden Restaurierung. Denn im Laufe der Jahrhunderte sind die einzelnen Teile des Gemäldes teilweise aus kulturellen (zeitweise konnte man die Nacktheit von Adam&Eva nicht aushalten), teilweise aus finanziellen (Teile des Bildes wurden ins Ausland verkauft) und teilweise aus kriegsbedingten Gründen ganz schön herum- und heruntergekommen. Auch heute noch ist ein Teilgemälde verschollen und in der Restauration durch eine Replik ersetzt worden.
Nachdem wir damit die weithin beworbene Hauptattraktion Gents gesehen hatten, spazierten wir durch die Altstadt entlang der Flüsse und der auch hier vorhandenen Grachten, versorgten uns mit “Genter Nasen” (Sehr bunte, sehr süß-klebrige, geleeartige Zucker-Kegel) und statteten dem örtlichen Beginenhof (heute ein normales Wohnviertel) einen kurzen Besuch ab. Auf unserem weiteren Weg kamen wir am Rabot vorbei, einem Turm der ehemaligen Stadtmauer, der an einen Sieg der Genter über die Habsburger erinnern soll und praktischerweise gleichzeitig eine Schleuse zwischen dem Stadtgraben und dem Fluss Lieve bewacht.
Auch den Gravensteen, die einzig erhaltene, mittelalterlichen Burg Flanderns und einstige Residenz des hiesigen Grafen, nahmen wir genauer in Augenschein. Das sehr imposante Festungswerk wurde ebenfalls umfangreich restauriert, nachdem es zwischenzeitlich hinter Wohnhausfassaden eingemauert worden war. Neben Burg-typischen Ausstellungen mit Schwertern, Armbrüsten, Guillotinen und Folterwerkzeugen werden die Räume – wie wir es in den Niederlanden und Belgien schon häufiger erlebt hatten – auch für wechselnde Ausstellungen mit von der Location und ihrer Historie unabhängigen Themen genutzt. Dies geht häufig so weit, dass an der Kasse vertriebene Info-Flyer eher Informationen über die temporären Ausstellungen enthalten, als über das Objekt selbst.
Für den Fall, dass sich jemand solcher Info-Flyer oder auch anderer nicht mehr benötigter Gegenstände entledigen will, sind in Gent – wie anderswo auch – zahlreiche, öffentliche Müllbehälter angebracht und um die Nutzung dieser Behältnisse zu fördern, ist man auch hier den üblichen Weg der Straf-Androhung bei Missachtung gegangen. Bemerkenswert fanden wir allerdings die hiesige Umsetzung in Form eines Knöllchen-Musters, bei dem sich das Ordnungsamt – wahrscheinlich in Kooperation mit der Tourismusbehörde – außerordentlich kreativ zeigte: